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Jezelaie und Numankhairau

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Literature Text

Aus dem Tagebuch eines Reisenden, das ich in der Stadt Simumbul bei einem Bibliothekar erstand.

Erster Tag in der Wüste, 15. Juli, hundertdreißigster Tag der Reise.
Der Wind streicht über die schwarze Basaltebene und lässt keinen Staub zu. Eine blauweiße Sonne lässt darauf Luftspiegelungen erscheinen; Wasserschatten, die man nicht trinken kann, da sie zerfließen, sobald man nur nahe genug herankommt. Vereinzelt kriechen Käfer aus den Rissen im schwarzen, glänzenden Gestein hervor; kleine, zähe Biester ohne Angst vor der Sonne, oder kleine Schlangen, die fast sofort zischend wieder im Dunkeln verschwinden. Über der Ebene hängen dunkle Wolkenwände, nur dort, wo die Sonne steht, ist der Himmel klar und blau. Am Horizont sind jetzt die schwarzen Gipfel zu erkennen, die mit jedem Schritt, denen ich ihnen näher komme, ein paar mehr Details preisgeben. Sonst zeichnet sich in dieser heißen Öde nichts weiter ab.
Mein Muli schnauft neben mir, die steinernen Kanten scheuern sicher schmerzhaft. Ich hatte gehört, dass der Schein trügen konnte, was das Wasser in dieser Einöde betraf, dass man ihm nicht trauen konnte. Doch so langsam bin ich tatsächlich versucht, einfach aufzusitzen und zu brüllen und dem Tier die Sporen zu geben; es auf die vermeintlichen Meere und Seen hinzutreiben. Wollte es das nicht auch?, frage ich mich. Wollte es das nicht auch?

Ich glaube, ich habe mich überschätzt, was die Entfernung zu den Bergen angeht.  Auf meine Fragen, wie weit der Weg bis zum Bergfuße sei, antworteten die Bewohner Jezelaies nur mit einem Schulterzucken, jeder verdammte Einzelne von ihnen. Ich glaube, kaum einer von ihnen hat sein Dorf jemals verlassen, wahrscheinlich keiner von ihnen in dieser Richtung. Wird man so, wenn man jeden Tag seines Lebens in einer Einöde wie dieser zubringt? Wenn man Tag für Tag die dürren Schafe und Rindviecher hütet, in diesem verlassenen Teil des Limbus, wo man schwarze Lumpen trägt, um tagsüber nicht von den Fliegen zerfressen zu werden?
Oh, die Fliegen! Wenn dieser stinkende Wirt in Jezelaie mir nicht den Rat gegeben hätte, beim noch übler stinkenden Händler in dessen heruntergekommenen Handelshaus diese schwarzen Klamotten zu horrenden Preisen zu kaufen, wäre ich wahrscheinlich noch nicht einmal so weit gekommen, wie ich es jetzt bin. Selbst so, wie ich war, komplett vermummt von oben bis unten, fanden diese Biester zielsicher den Weg zu meinem Gesicht, das unter dem dünnen Schleier verborgen lag. Der Schweiß floss mir in Strömen. Fliegen?, fragte ich damals in der Taberna, bevor Jezelaie einen Wirt weniger hatte, was sollen mir Fliegen schon anhaben können? Guter Mann, ich habe nicht weit Schlimmeres überstanden, als ich mich auf den Weg hierhin begab, um jetzt von Fliegen in die Flucht geschlagen zu werden. Der Mann hatte hintergründig gelächelt, wobei der Dreck auf seinen schiefen Zähnen mich anstarrte, und hatte mir bedeutet, ihm zu folgen. Herrgott, dachte ich, sprachen denn diese Leute niemals? Selbst die drei, vier Viehhirten an ihren Tischen hinter mir, die ihre Sorgen in billigem Fusel ertränkten, starrten nur hoffnungslos in ihre Gläser. Wo man nach links und rechts den Horizont überblicken konnte, schien diese Welt aus Basalt zu schwarz für Hoffnung zu sein.
(Die Tiere wurden übrigens in den Höhlen gehalten, die sich unter den Rissen manchmal auftaten, wo auch einige Pflanzen und trockene Gräser wuchsen und das Kondenswasser sich sammelte. Mich wundert es, dass nicht ganz Jezelaie in einer solchen Spalte erbaut wurde.)
Ich nahm mir vor, mich den Leuten hier anzupassen, und sprach ebenso wenig wie sie. Iobaro meinte damals, man sollte auf der Durchreise kein Aufsehen erregen in solchen... Orten.
Der Wirt hatte die Tür hinter der Theke aufgeschoben, und ich folgte ihm ein paar steinerne Stufen hinunter in einen Keller, in dem es angenehm kühl und war und so dunkel, dass man seine Hand vor Augen nicht sehen konnte. Er drehte sich zu mir um, hielt sich mit seinen dürren Fingern die Nase zu und zeigte dann auf mich. Ich ahnte die Bewegung mehr, als dass ich sie sah, aber tat, wie mir geheißen, und er schob den Riegel vor einer weiteren Holztür zurück, die aber, wie ich bemerkte, ein gutes Stück stabiler war als die nach oben. Mit einiger Mühe stellte der den schweren Holzbalken leise neben die Tür, schaute sich abermals zu mir um bedeutete mir, still zu sein und vor der Tür zu warten. Dann entzündete er eine Silberfackel (woher er diese am Rande dieser Hölle hatte, ist mir bis heute schleierhaft), und ich hörte schwere Ketten rasseln. Irgendwie muss mir der spitze Stock mit dem Stück Fleisch entgangen sein, den der Wirt auf einmal im weißen Licht der Silberfackel vor sich in der Hand hielt... Plötzlich wurde ihm jener aus der Hand gerissen, und fast wäre der Alte hinterhergeflogen, wenn ich ihn nicht am Ärmel zurückgezogen hätte. Mir stockte der Atem, als ich das Vieh von Wolf im schummrigen Licht sah, das da auf dem Fleischbrocken herumkaute, Knochenstücke unter der Kraft seiner Kiefer zermalmte und alles ohne zu kauen hinunterschlang. Sonnenwölfe nennt man sie, sagte der Alte, sie kommen aus den Rissen und scheinen nie zu trinken. Dieser war in schwere, rostige Ketten geschlagen.
Wie hast du den gefangen, alter Mann?, fragte ich voll ehrlichem Erstaunen.
Er gab mir die Silberfackel in die Hand, dieses kleine Wunder, das hier so völlig fehl am Platze schien, und ließ mich allein mit diesem Tier, das seinen majestätisch klingenden Namen so irgendwie gar nicht verdient hatte. Noch immer würdigte es mich keines Blickes, sondern kaute nur auf seinem Stück Fleisch herum, während ich es fasziniert betrachtete. So etwas hatte ich während meiner ganzen Reise nicht gesehen, und werde es vielleicht nie wieder sehen. Alles außer den Augen war schwarz – das drahtige Fell, die Zunge, ja sogar die Zähne. Die Augen dagegen waren hell bernsteinfarben, mit einem Ring aus blauem Eis. Ich war fasziniert. Ich war so fasziniert, dass ich nicht bemerkte, wie das Tier, dieses wunderschöne Biest, den Kopf von seinem Fleisch wandte und mich mit diesen faszinierenden Augen anschaute, mich musterte, mich durchschaute. Ohne es zu bemerken, trat ich einen Schritt näher, während der Sonnenwolf mich mit aufgestellten Ohren ansah und wartete... Worauf wartete?
Er blinzelte, und ich verstand. Ich legte die Silberfackel beiseite – nein, wenn ich mich jetzt recht erinnere, ließ ich sie achtlos fallen, das Klackern auf dem Boden ist mir noch in Erinnerung – und ging weiter auf ihn zu. Der Wolf schob mir das Stück Fleisch herüber. Als ich nicht reagierte, nahm er es und hielt es mir in seiner Schnauze entgegen - Geifer tropfte ihm auch hier von den Lefzen, doch seltsamerweise schien er den Stein noch nicht zum Kochen zu bringen. Nimm es, sagte er mir, und ich nahm es. Seit wann können Wölfe sprechen, frage ich mich jetzt, wo ich unter dem schwarzen Stein in der Wüste sitze und Schutz vor der Sonne und Zeit zum Schreiben habe. Das Tier war außergewöhnlich, ja, aber sprechen? Wie machte es das? Sollte ich jemals die andere Seite der Nulzhara erreichen, werde ich dies mit jemandem erörtern müssen, der eine große Bibliothek innehat, oder mit einem Magister, so ich denn einen finde. Ich hoffe nur, dieses Buch wird die andere Seite jemals erreichen – entweder ohne mich (unwahrscheinlich) oder mit mir (schon sehr viel wahrscheinlicher).
So stand ich da, mit einem Klumpen bluttriefenden Fleisches in der Hand, dieser schwarze Wolf vor mir, die Silberfackel achtlos beiseite geworfen, in einem dunklen, feuchten Kellerloch inmitten einer basaltenen Wüste. Und ich war noch ich... glaube ich.
Ich blinzelte, und als ich die Augen wieder öffnete, sah ich die Welt in einem... anderen Licht. Die Farben waren falsch, völlig falsch, das Schwarz war nicht mehr schwarz, das Weiß nicht mehr weiß. Ich glaube, das war der erste Moment in dieser verrückten Welt, in der ich begann, wahnsinnig zu werden. Ich ließ voller Ekel den Klumpen Fleisch fallen, noch bevor ich Gelegenheit bekam, ihn richtig anzuschauen. Er sah... gut aus, glaube ich, so sehr ich mich auch sträube, das zuzugeben. Ich sah mich um, und was ich sah, war ein Gefängnis. Ich schaute in das Licht der Silberfackel, und was ich sah, war Schmerz und Leben und Sonne, ich roch Schmerz und Leben und Sonne. Im Sog dieses Wahnsinns hörte ich plötzlich etwas, was mich in die Realität zurückholte – die Schritte des stinkenden Wirtes auf den vermoosten Steinstufen, die in den Keller führten. In Wahrheit roch ich ihn mehr, als dass ich ihn hörte, was mir jetzt im Nachhinein noch mehr zu denken gibt. Ich drehte mich um, und sah ihn. Er sah noch genauso aus, aber – irgendwie auch anders. Ich mochte ihn nicht, ich mochte ihn nicht. Er hatte mich gefangen.
Nein! Er hatte den Wolf gefangen... Was schreibe ich da? So langsam wird mir bewusst, was da unten passiert war. Ich sollte mich auf heut nacht gut vorbereiten...
Der Alte kam zurück auf den Stufen, und als ich seine Schritte nicht mehr hörte, drehte ich mich zu ihm um. Er stand da, hatte ein Wolfsfell in der Hand – das eines Sonnenwolfes – und schaute mich mit unergründlichem Blick an.

Ich sehe, du brauchst es nicht mehr, sagte er. Ich verstand nicht.

Ich sah den Wolf an. Der Wolf sah den Alten an. Der Alte kam heran und machte Anstalten, die Tür zum Gefängnis des Wolfes zuzuwerfen und den Riegel vorzuschieben – während ich noch in der Kammer stand. Ich stemmte mich mit aller Gewalt dagegen und schaffte es schließlich, den Alten mitsamt der Tür zu Boden zu werfen. Er hatte eine Kraft, die sein schwächlicher, dürrer Körper und der Kugelbauch nicht vermuten ließen. Pah!,geiferte er, Wolf-Vertrauter! Ich verstand abermals nicht. Heule wie er!, rief er, Knurre wie er! Mal sehen, ob du noch sprechen kannst!
Gib Ruhe, Alter!
, sagte ich, Was willst du mit dem Wolfsfell? Lass das Tier frei! Wie hast du es überhaupt gefangen? Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe. Damals schien es mir richtig.

Der Alte lächelte, stand auf und ging auf den Wolf zu, der sofort knurrte und ein Geräusch machte, das ich bei Wölfen noch nie gehört hatte: Er keifte und zischte, als ob er eine Schlange im Rachen hätte. Hörst du dies?, fragte er. Dies ist die Sünde. Ich verstand abermals nicht. Vorsichtig näherte er sich dem Tier, das an seinen Ketten riss und keifte, Geifer in alle Richtungen spritzend. Ein Spritzer traf den Kellerboden, wo er dieses Mal zischte. Der Speichel der Sonnenwölfe ist kochendheiße Glut, sagt man. Der Alte schritt ohne Furcht auf den Wolf zu, die gelegentlichen Spritzer ignorierend. Als er fast in Reichweite der starken Kiefer war, zog er sich das Wolfsfell über. Und was dann kam, verwirrte mich sehr – nicht nur im Kopf, sondern auch im Herzen.
Der Wolf  hörte auf zu knurren, und schob dem Alten ohne Umschweife das Stück Fleisch entgegen, bevor er sich tiefer in seine Zelle zurückzog. Ich weiß, dass Wölfe keine wirkliche Mimik haben, doch sah er kummervoll und traurig aus. Was hat das zu bedeuten? Hat er ihn für einen von seiner Art gehalten? War der Geruch des Fells der seines Herrentieres? Seiner Wolfsfrau, so abwegig das klingen mag? Hat er den Menschen im Wolfspelz nicht erkannt? Wollte er ihn nicht erkennen?
Das Ganze machte mich sehr zornig, und so tat ich etwas, wovon ich in jeder götterverdammten Nacht in dieser Wüste noch Albträume kriegen werde. Ich riss ihm in meiner Rage das Fell vom Kopf, gab ihm einen Tritt, dass mein Bein verstauchte, und warf im Fallen den Riegel hinter mir zu. Mit schmerzverzerrtem Gesicht lag ich auf dem Kellerfußboden, die Käfer krochen heran, Tränen liefen mir über die Wangen, Tränen der Angst und des Schmerzes, von drinnen hinter der Tür hörte ich Schreie, die in einem Gurgeln untergingen, als der Sonnenwolf dem Sonnenmenschen die Kehle durchbiss, während ich mich auf meinem gesunden Fuß vor Schmerzen immer wieder im Kreis drehte. Der Hunger und die Strapazen der Reise mussten mir gehörig zu schaffen gemacht haben, denn ich fiel in Ohnmacht. Scheinbar nicht lange, denn als ich aufwachte, hatte sich nichts verändert.
So humpelte ich zum Viehhändler, erstand ein dürres Muli und verließ das Dorf in Richtung Nulzhara. Gekleidet war ich in ein schwarzes Wolfsfell, auf dem sich Tautropfen sammelten. Die Leute starrten mir hinterher, ich spürte es, wie sie hinter den blinden Fenstern standen. Das Kapitel Jezelaie ist für mich noch nicht abgeschlossen. Doch die Spur für die Wölfe habe ich gelegt. Sie können das Licht der Silberfackel in der Nacht riechen. Sie werden Numankhairau aus diesem Gefängnis holen, denn sie halten zusammen, im Gegensatz zu uns Menschen. Ich weiß genau, dass mich in ein paar Tagen die Jäger im Schlaf überraschen werden. Ich muss vorsichtig sein, Fallen aufstellen.
Was passiert in dieser Wüste, wenn die Sonne untergeht? Ich werde es sehen. Es wird kalt abends, habe ich gehört. Ich sollte mich in das Fell hüllen und schlafen, doch ich habe Angst, dass die Wölfe kommen... oder die Menschen. Oder dass ich träume.
Ich muss Schluss machen, die Sonne geht unter. Keine Fallen heute Nacht.
Iobaro, Numankhairau und die Nulzhara waren bedeutende Stationen in Iomano Ashirras ([link]) Leben. Dies ist ein Ausschnitt seines Tagebuchs, wie es vom Chronisten der Geschichte der Dreizehn Räder gefunden wurde.

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Eigentlich nur ein erster Versuch. Es soll kein Sinn dahinterstecken - ich wollte einfach sehen, wie ich schreibe, wenn ich drauflos schreibe. Bin noch lange nicht zufrieden mit dem hier erreichten, aber zumindest hab ich überhaupt mal angefangen, worauf ich schonmal stolz bin. ^^;

Kritik ist willkommen.

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To the English-speaking community: Sorry, won't be translating this, ever. ^___^ I can't write properly in German, so I definitely won't give it a shot in English.
© 2006 - 2024 Runiq
Comments10
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geschichtenmalerin's avatar
Mmmh, also ich finde es toll. Ich bin aber auch technisch nicht anspruchsvoll, das, was ctathem geschrieben hat, mag ja stimmen ^^ aber ich finde viel wichtiger, dass eine Geschichte einen mitnimmt und irgendwie lebendig wird und das hat bei mir zumindest geklappt.
Gibts davon auch ne Fortsetzung oder sowas?