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Rachel Amber in der Dunkelkammer - Kapitel 1

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MCAppetizer's avatar
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[eine Fanfiction-Geschichte zu "Life Is Strange"]

Chloe nahm einen tiefen Zug von ihrer Haschischzigarette, lehnte sich entspannt zurück und schloss die Augen. Der Klappstuhl war eigentlich ganz bequem; viel gemütlicher, als er aussah. Als Rachel ihn vorhin irgendwo zwischen dem Metallschrott unweit des alten, rostigen Schulbusses gefunden hatte, war Chloe nicht hundertprozentig von der Idee überzeugt gewesen, ihn mitzunehmen und in ihre kleine Bleibe auf dem Schrottplatz aufzunehmen. Doch jetzt sah die Welt anders aus, das Ding tat seinen Dienst ausgezeichnet. Rachel hatte eben doch ein gutes Auge.

Natürlich nicht nur für irgendwelche alten Klappstühle auf Schrottplätzen - sondern eben überhaupt. Rachel fielen unmittelbar Dinge ins Auge, für die sie selbst blind war. Das begann schon mit Kleidung. Chloe hatte sich nie für Mode interessiert, und es war ihr offen gestanden völlig gleichgültig, ob sie mit ihren Klamotten im Trend lag oder nicht. Als sie sich ihre Haare strahlend blau gefärbt hatte, dann sicher nicht, um dem neusten Schrei zu entsprechen. Ein bisschen hatte sie schocken wollen. Natürlich war sie sehr glücklich gewesen, dass es Rachel gefallen hatte. Außerdem fand sie sich selbst so etwas schöner. Es ließ sie wild und verwegen aussehen, nicht so wie ein braves Schulmädchen, dass sie mal gewesen war – zumindest so einigermaßen brav – sondern wie eine junge Frau, die es faustdick hinter den Ohren hatte.

Sie zog noch einmal an der Zigarette. Gutes Zeug, wirklich.
Und Rachel? Wenn sie ehrlich sein sollte, dann wusste Chloe noch nicht einmal, ob ihre Freundin sich immer der neusten Mode hingab oder einfach stets aufs Neue das wählte, wonach sie sich gerade fühlte und was ihr gefiel – in jedem Fall sah sie immer toll aus. Alles, was Rachel sich aussuchte, passte zu ihr, zu ihrer Persönlichkeit, ihrer Entschlossenheit. Rachel Amber wusste, was sie wollte, und sie wollte die Welt sehen. Sie wollte Model werden. Chloe war sich sicher, dass ihre Freundin das nicht nur vor sich hin träumte. Dieser Traum würde sie nicht locken und verführen und dann wie eine schillernde Seifenblase vor ihren Augen platzen. Was Rachel wirklich wollte, das würde sie früher oder später auch bekommen.
Und – mal ehrlich – was sollte auch dagegen sprechen, dass sie ihre Träume erreichen würde? Rachel war einfach das geborene Topmodel, sie strahle Lebensfreude und Selbstbewusstsein aus, sie konnte gut reden, konnte andere, bevor diese einen Verdacht schöpften, um den Finger wickeln.
Und – sie machte eine umwerfende Figur in allem, was sie trug.
Chloe lächelte.
Die allerbeste Figur machte sie natürlich, wenn sie gar nichts trug.


* * *


Rachel blickte nachdenklich aus dem Fenster ihres kleinen, mit Erinnerungen und Kritzelein gefüllten Rückzugsortes. Draußen wurde es langsam Abend, das Licht der Sonne hatte sich in ein warmes Orange verwandelt und zeichnete mit den Eisenstangen und Gittern, dem Elektroschrott, den Holzplanken und Brettern Schattenfiguren auf den Boden. Ihr Blick schweifte an der Wand entlang.
„Rachel war hier“, las sie, „Chloe war hier“, mit dickem, schwarzem Filzstift an die Wand geschrieben. Daneben kleinen Zeichnungen von Schmetterlingen, von Hochhäusern und einer aufgehenden Sonne sowie zwei Strichmännchen. Sie und Chloe. Dann traf ihr Blick den ihrer Freundin. Chloe lächelte.
„Das wird der Hit“, sagte ihre Freundin leise und zufrieden, „Du wirst der Hit. Echt, ich kann es kaum erwarten.“
Dann streckte sie ihre Zunge heraus und blies einen Rauchring in die Luft vor sich. Rachel nickte ihr zu und zwang sich zu einem Lächeln. Aber dass sie Chloes Freude nicht teilen konnte, ärgerte sie und machte sie traurig.

Chloe war wunderbar, ganz ohne Frage. Sie war energisch und abenteuerlustig; ihr konnte man mit dem größten Unfug kommen und sie wäre ganz sicher sofort dabei. Ihr konnte man vertrauen, immer. Sie würde Geheimnisse nie weitererzählen. Und sie war so anders als die Mädchen an ihrer Schule, der Blackwell Academy, die allesamt irgendwo in der Pubertät stecken geblieben sein mussten. Diese verzogenen, selbstsüchtigen Zicken steckte Chloe allesamt in die Tasche.
Sie mochte Chloes rebellische Art – sie selbst war auch auf gar keinen Fall auf den Mund gefallen, doch ihre Freundin war härter als Brecheisen, sie konnte alles an sich abperlen lassen und sie konnte für andere richtig unangenehm werden, wenn es sein musste. Und es konnte ihr alles andere auf eine wirklich liebenswerte Art völlig gleichgültig sein. Gerne erinnerte sie sich an Stunden, in denen sie mit Chloe einfach irgendwo gesessen hatte, und ihnen der Rest der Welt einfach gestohlen bleiben konnte.
Manchmal fragte Rachel sich, ob Chloe diese Haltung entwickelt hatte, nachdem sie ihren Vater William verloren und sich von der Welt verraten gefühlt hatte, oder ob sie bereits vor dieser Zeit ein solcher Wildfang gewesen war. Sie wusste allerdings, dass Chloe oftmals auch nur so tat, als sei sie stark und unverletzlich; aber in ihrer Seele ging mehr los, als sie Rachel manchmal mitteilte.

Als sie Chloe kennengelernt hatte, hatte diese vorgehabt, sich das Leben zu nehmen. Nachdem sie Rachel das anvertraut hatte, hatte Rachel erst einmal eine Woche den Unterricht sausen lassen, um sich jeden Tag mit ihr zu treffen. Sie hatte Mitleid mit Chloe und empfand es als ungerecht und nicht fair, dass dieses Mädchen so lebensmüde Gedanken hatte und sich mit ihren Schicksal offenbar so unglaublich allein fühlte.

Sie beide hatten oft stundenlang auf Chloes Bett gesessen und sich angeschwiegen, allerdings nicht verklemmt, sondern in angenehmer Ruhe, in dem Wissen, dass die jeweils andere da war und zuhören wollte. Sie hatten einfach nur dagesessen und ab zu ausgesprochen, was ihnen gerade durch den Kopf ging. Oft völlig ohne Zusammenhang. Einmal hatte Chloe gesagt, sie habe sich schon das ein oder andere Mal mit Jungs eingelassen, aber im Großen und Ganzen seien das alles Arschlöcher. Rachel hatte ihr zugestimmt.
An einem anderen Tag hatte Chloe ihr erzählt, ihre ehemalige beste Freundin sei vor Jahren mit ihrer Familie nach Seattle gezogen und habe sich seitdem nicht einmal mehr bei ihr gemeldet.
„Tolle Freundin, oder?“, hatte Chloe nachdenklich gefragt, an die Decke blickend.
„Ich würde sie nicht gleich verurteilen“, hatte Rachel ihr geantwortet, „Sie war doch mal echt dicke mit dir. Sie hat dich bestimmt nicht vergessen. Nur hat sie eben jetzt ein komplett neues Leben.“
„Ja“, hatte Chloe geschnaubt, „eins, in dem ich offensichtlich keine Rolle mehr spiele.“
„Wie heißt sie denn?“
„Max. Also, eigentlich Maxine, aber so nennt sie keiner. Sie hasst den Namen.“
„Kann ich nicht verstehen. ‚Maxine‘ ist doch schön. Französisch, oder so.“
Chloe hatte sie aufgesetzt und nach einer kleinen Weile des Schweigens hatte Rachel gefragt:
„Vermisst du sie sehr?“
Chloe hatte ihren Blick abgewandt, in Richtung der im warmen Sommerwind leicht flatternden amerikanischen Flagge vor ihrem Fenster. Rachel war näher an sie herangerückt, hatte ihre Hand auf Chloes Schulter gelegt und ihr eine Träne aus dem Auge gewischt.

In den darauffolgenden Tagen hatten sie sich besser kennen gelernt und mit Dankbarkeit und Freude bemerkte Rachel mit der Zeit, wie es Chloe von Tag zu Tag besser ging, wie sie lebensfroher wurde, und ihre Lebenszeit wieder genießen konnte. Rachel hatte mit ihr noch oft über William gesprochen; nie wirklich lange, aber Rachel hatte jedes Mal aufs Neue gespürt, wie Chloe ein enormes Gewicht von der Seele fiel, wenn sie mit ihr über ihren Dad und dessen Autounfall sprechen konnte.
Die Tage vergingen, wurden zu Wochen, diese wurden zu Monaten und Rachel wurde Chloes beste Freundin.
Sie verliebten sich ineinander.
Als ihr Freundin vorgeschlagen hatte, einfach ein Bündel zu schnüren, etwas Geld mitzunehmen und nach Los Angeles durchzubrennen, konnte sich Rachel sehr schnell mit dem Gedanken anfreunden. Sie hasste diese Stadt, diese öde Ansammlung von Bruchbuden, irgendwo im Nirgendwo – und die Academy sowie ihr Mitstudenten hingen ihr zum Hals raus. Offenbar wurde man an dieser Schule automatisch zum egozentrischen Snob, wenn man nicht aufpasste; oder die Blackwell Academy zog solche Klientel magisch an. Wie dem auch sei, die Vorstellung, noch einige weitere Jahre an dieser Schule bleiben und dort büffeln und leben zu müssen, widerte sie geradezu an.

Und wie oft hatte sie schon davon geträumt, irgendwo groß rauszukommen? Chloe wurde nicht müde, ihr zu sagen, wie hübsch sie war, und Rachel wusste, dass praktisch die halbe Academy – das hieß, überwiegend der männliche Anteil – das ähnlich sah. Sie träumte davon, über Laufstege zu schreiten, bewundert von den Massen, berühmt zu werden. Einfach wäre das sicher nicht, das war ihr bewusst, aber in jedem Fall aufregender als ein Leben in Arcadia Bay. Und mit Chloe an ihrer Seite würde es ganz sicher niemals langweilig werden.
An dem Tag, als sie ihrer Freundin mitgeteilt hatte, dass sie mit dem Plan, nach L. A. zu gehen, einverstanden war und sich schon jetzt darauf freute, hatte Chloe sie mit strahlenden Augen in ihre Arme geschlossen und sie anschließend so intensiv und lange geküsst wie noch nie zuvor.
Ab da war es keine Frage mehr gewesen, ob sie abhauen würden.
Nur noch, wann.

Bis sie vor einem Vierteljahr Frank Bowers kennengelernt hatte.
Frank war Drogendealer, hier in der Stadt, und eigentlich eher ein Typ, von dem man sich fernhalten sollte. Jedenfalls hatte sie das über ihn gehört und der Anblick seines heruntergekommenen, staubigen Wohnwagens, seines feindselig dreinblickenden Hundes vor der Tür und seine brummige, abweisende Art, die er an den Tag legte, unterstrichen diesen Eindruck stets aufs Neue. Rachel war aber nicht die Art von Mensch, die Ansichten und Urteile anderen gegenüber einfach so ungeprüft hinnahm und als sie einmal die Chance gehabt hatte, mit diesem Frank ins Gespräch zu kommen, hatte sie diese genutzt.
Im Two Whales Diner, wo er oft einkehrte und dann immer einen Platz in der Ecke einnahm, hatte sie sich einmal zu ihm gesetzt, einfach so, ungefragt, und hatte ihm die Frage gestellt, ob es denn stimme, was man über ihn erzählte.
„Ach, was erzählt man denn?“, hatte Frank zurückgefragt, völlig unbeeindruckt von ihr. Noch nicht mal von seinen Bohnen hatte er aufgeblickt.
„Na, dass du gefährlich bist – und gewalttätig.“
Da hatte Frank seinen Blick doch gehoben und sie mürrisch angestarrt.
„Wer bitte bist du und warum interessierst du dich so brennend dafür, ob ich gewalttätig bin? Schicken die bei der Polizei jetzt schon Kinder? Musst du nicht in der Schule sein oder dir die Fingernägel lackieren? Ihr Blackwell-Tussis geht mir so auf den Sack.“
Sie hatte damals den Versuch, mit diesem Kerl in ein ernsthaftes Gespräch zu kommen, als eine Herausforderung aufgefasst, die es zu meistern galt. Sie konnte nicht glauben, dass dieser Frank den ganzen Tag in seinem Wohnwagen hockte und missmutig gelaunt war. Kein Mensch war einfach nur griesgrämig. Bestimmt konnte man gut mit ihm reden, wenn es darauf ankommen ließ. Das schien wohl gerade sein Problem zu sein.

Sie war hartnäckig geblieben, hatte ihre Hände ausgestreckt, für ihren Gegenüber gut sichtbar, hatte die Finger gespreizt und gesagt: „Meine Nägel hab‘ ich schon gemacht, danke der Nachfrage. Wenn du übrigens der Typ sein solltest, von dem Justin immer seinen Stoff bekommt, dann muss ich mich wohl bei dir bedanken. Das ist echt gutes Zeug. Du solltest mich mal erleben, wenn ich das intus habe.“
„Du hast echt Mumm, Kleine. Aber was zum Henker willst du von mir? Willst du dir was schnorren? Dann zisch‘ lieber gleich ab, das kann ich gar nicht ausstehen.“
„Weißt du“, hatte Rachel gesagt, „ich glaube, du bist gar nicht so ein abstoßender, gemeingefährlicher Kerl, wie alle sagen.“
„Ach, nein? Und wer bist du? Seelenklempnerin?“
„Nein. Ich bin Rachel.“
Und keine drei Tage später lag sie nachts im Klappbett von seinem Wohnwagen, mit Frank an ihrer Seite, der leise schnarchte und sein Arm um sie geschlungen hatte. Und sie hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen wegen Chloe.

Und jetzt, hier, in diesem Moment, als sie in Chloes Augen blickte, in ihrer kleinen Bleibe auf dem Schrottplatz irgendwo hinter der Stadt – bei ihrer Freundin, die sie, Rachel Amber, über alles liebte – da tat es ihr unendlich leid, dass sie ihr gleich sagen musste, dass sie mit Frank weggehen würde.
Sie hatte viele schlaflose Nächte damit verbracht, abzuwägen, zu wem sie sich mehr hingezogen fühlte. Wer würde eher für sie da sein, wenn es ihr schlecht ging? Wem vertraute sie, wen liebte sie mehr? Und jede Antwort war ein Patt, immer wieder, wie sie es auch durchdachte, es gab nur falsche Entscheidungen. Sie hatte auch in Erwägung gezogen, es einfach sein zu lassen, niemandem das Herz zu brechen und einfach ein ganz normales Schulmädchen zu bleiben, das brav seine Hausübungen machte, dass lernte und fleißig war und es gab wohl nichts auf dieser Welt, was sie mehr ankotzte als diese Vorstellung.

Weshalb sie sich letzten Endes für Frank entschieden hatte, war, dass er älter, reifer und erfahrener war. Auch wenn er im Drogenmilieu, dass ihr so gar nicht bekannt war, unterwegs und mitnichten ein Vorzeigemann war, so traute sie ihm doch zu, bodenständiger zu sein, dass er öfter einen Rat in verzwickten Situationen des Alltags finden würde und dass er einfach Problemen entspannter und ruhiger entgegentreten konnte. Rachel hatte, auch wenn sie nicht gern daran dachte, ein wenig Angst davor, irgendwo fern der Heimat ohne eine gewisse Sicherheit zu sein.
Sie war schon ein wenig seltsam, schien es ihr. Auf der einen Seite wollte sie das Abenteuer, das pure Leben, sie wollte es jetzt, sie wollte kopfüber eintauchen, ohne Rückkehr. Aber eine gewisse Verlässlichkeit, eine grundlegende Sicherheit in ihrem Leben brauchte sie, die Gewissheit, dass sich jemand auskannte, wenn es brenzlig wurde.
Und Frank traute sie das eher zu als Chloe, so leid es ihr auch tat. Außerdem hatte Frank durchklingen lassen, dass er das Geschäft mit den Drogen auch, wenn sie es wollte, aufgeben würde.

Und nun hatte Rachel sich schließlich entschieden.
Dennoch tat es ihr furchtbar leid, Chloe da sitzen zu sehen, in dem Wissen, dass sie ihr gleich das Herz brechen würde, dasselbe Herz, das sie selbst vor über einem Jahr so liebevoll geheilt hatte.
Aber es gab jetzt kein Zurück mehr. Das hatte sie sich gesagt, immer und immer wieder, Rachel, es gibt jetzt kein Zurück mehr, deine Entscheidung ist gefallen, auch wenn es keine leichte war. Aber sie stand.



* * *


Los Angeles würde großartig werden, dachte Chloe. Sie würden über den Santa Monica Pier schlendern, nachts, wenn alles bunt angestrahlt wird und leuchtet, jeder von ihnen einen Cocktail in der Hand, „Sex On The Beach“ – wie passend, dachte sie. Sie würden auf das endlose Meer hinausschauen, weit, weit weg von zuhause, endlich in ihrem eigenen Leben. Jeder Tag wäre anders, jeden Tag wäre endlich mal was los, nicht so wie hier, in dieser Geisterstadt.
Chloe drückte ihre Zigarette in dem kleinen gläsernen Aschenbecher auf dem Schemel neben sich aus, stand auf, warf Rachel einen kurzen, zwinkernden Seitenblick zu und trat ans Fenster. Sie legte ihre Hände auf den kalten Stein und lies sich von der Abendsonne wärmen. Wie wunderbar! Und wie sich diese Abendsonne erst im Panorama der Hügel von Hollywood machen würde!

Sie selbst wollte gar nicht berühmt werden, dass würde sie Rachel überlassen, aber die ein oder andere Party bei Stars und Sternchen wäre sicherlich drin, zu der sich auch mitkommen könnte. Und sie wäre dann quasi die First Lady neben ihrer Rachel. Oh, und würde sie dann auch selbst kochen müssen? Sie konnten schließlich nicht jeden Tag irgendwo sein, wo es Buffets gab, und eine eigene Wohnung irgendwo würden sie auch haben, mit Küche, eine ganz kleinen Küche. Fürs erste. Aber Kochen konnte ja nun wirklich nicht das Problem sein, mit Rachel an ihrer Seite würde nichts ein Problem darstellen.
Leck mich, Arcadia, dachte sie, bald wir sind endlich hier raus.

„Chloe?“
Sie spürte Rachels Hände an ihrer Hüfte und den Kopf ihrer Freundin an ihrer Schulter.
„Rachel?“, fragte Chloe, flüsternd, während sie noch in ihren Tagtraum schwelgte.
„Chloe, ich … ich muss dir was sagen.“
Rachels Stimme klang matt und erschöpft, viel zu müde für die bunten und glücklichen Gedanken, die in Chloes Kopf umher stoben. Mit einem Mal war ihre Aufbruchsstimmung gedämpft.

Sie ergriff sanft die Hände ihrer Freundin, drückte sie liebevoll und genoss die Wärme von Rachels Wange an ihrer Schulter.
„Stimmt was nicht, Schatz?“, fragte sie vorsichtig. Was auch immer Rachel im Moment umtrieb, so schlimm konnte es doch nicht sein, in Anbetracht dessen, was vor ihnen lag. Doch da war etwas in Rachels Stimme, die so brüchig, so unsicher geklungen hatte, wie sie es gar nicht kannte.
„Chloe, ich … es … es tut mir leid.“
Weinte sie etwa?
Chloe wandte sich um und sah in Rachels gerötete Augen, sah ihren unglücklichen Blick, der in ihrer Magengegend ein beklemmendes Gefühl auslöste.
„Hey, Rachel, was hast du denn…?“, brachte Chloe hervor und wischte ihrer Freundin eine Träne weg, so, wie sie es damals bei ihr gemacht hatte, um sie zu trösten.

„Was hast du denn…? Bitte sag’s mir, ich…“
Chloes Stimme verstummte. Dann nahm sie Rachel in den Arm, die daraufhin laut zu schluchzen begann.
„Chloe“, begann sie erneut, „Chloe, es tut mir so leid, aber … aber ich kann nicht mit dir nach L. A. gehen.“
Chloes Herz wurde finster, die Lichter des Santa Monica Piers verloschen und ihre Freude verhallte in der Ferne.
„Aber“, sagte sie, „Aber – warum denn nicht? Wir … wir können auch noch warten…“
„Chloe…“
Rachel löste sich langsam aus Chloes Umarmung und trat einen Schritt zurück. Sie atmete tief ein und sagte dann:
„Ich habe jemanden kennengelernt. Und ich werde mit ihm weggehen. Ich will dir damit nicht wehtun, bitte versteh‘ das, aber ich weiß, dass ich es dir sagen muss. Es tut mir so leid. Es geht nicht gegen dich, du bist wunderbar, ehrlich, aber … aber ich habe mich jetzt entschieden und ich dachte, es wäre nur fair, wenn ich dir das sage.“

Chloe nahm die Welt um sie herum nur noch dumpf war. Die letzten Worte ihrer Freundin klangen fremd, wie, als stammten sie gar nicht aus ihrem Mund. Als sei das gar nicht ihre Freundin, ihre Rachel, die da vor ihr stand, sondern nur ein Trugbild.
„Was…?“, fragte Chloe fassungslos und Tränen schossen ihr in die Augen.
„Es tut mir so, so leid, Chloe, wirklich, bitte glaub‘ mir das!“, hörte sie Rachels Stimme irgendwo aus der Ferne.

„Wen?“, hörte sich daraufhin ihre eigene Stimme sagen, „Wen hast du kennengelernt?“
Dann wurde sie lauter, ihre Sinne kehrten zurück, die Welt war nicht mehr dumpf und weit entfernt, sondern absolut scharf und klar. Und sie spürte Zorn in sich aufsteigen.
„Wen hast du kennengelernt?“, spuckte sie aus, laut und fordernd. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten.
„Chloe, bitte reg‘ dich ab, komm wieder runter, ich wusste, dass dich das mitnimmt. Ich verstehe dich, wirklich…“
„Wen hast du kennengelernt, Rachel?“, rief Chloe noch einmal und in ihren Augen stand die Wut.
„Du kennst ihn, Frank Bowers, der…“
„Wie bitte?“, schrie Chloe und stieß ihre Freundin von sich weg. Rachel stolperte ein paar Schritte zurück.
„Hey!“, rief sie erschrocken.
„Willst du mich verarschen?“, rief Chloe und trat näher an Rachel heran.
„Du lässt dich mit diesem Bastard ein und willst jetzt mit ihm die Biege machen? Der Typ hat sie nicht mehr alle, der vertickt Drogen und du…“, sie schüttelte angewidert den Kopf, „du ‚lernst ihn kennen‘?“
„Chloe…“, begann Rachel, doch diese unterbrach sie.
„Und du dachtest, du sagst mir das jetzt, einfach so. Die ganze Zeit schön die Klappe gehalten und dieser dummen Chloe alles Mögliche erzählt, wie gern du sie hast und wie viel sie dir bedeutet! Du hast mir nie was von ihm erzählt, Rachel, du hast mir die ganze Zeit ins Gesicht gelogen, für wer weiß wie lange! So viel bedeute ich dir also wirklich! Und du tust ganz lieb und unschuldig und ich vertraue dir, ich Idiotin, und du lässt dich mit diesem Typen ein! Na, treibt ihr es wenigstens regelmäßig in seinem versifften Wohnwagen?“
„Chloe…“, sagte Rachel, ruhig und fordernd, doch Chloe ließ sie nicht zu Wort kommen.
„Ich hoffe, er besorgt es dir richtig gut, Rachel, dann geh doch und hau ab! Ich brauche dich nicht, wenn du mir jetzt einfach ins Gesicht sagst, dass du mir die ganze Zeit eigentlich nur was vorgemacht hast. Leck mich!“

Noch bevor Rachel etwas erwidern konnte, war Chloe an ihr vorbei ins Freie gegangen. Zornig stapfte sie über den ausgetretenen Pfad zwischen den Schrotthügeln links und rechts von ihr. Schrott war alles gewesen, genau, was auch immer zwischen Rachel und ihr gewesen war, es war nur offenbar nie echt gewesen, nur Schrott.
Jeder log, ohne Ausnahme.
Früher hatte sie das geglaubt, bis sie Rachel kennen gelernt und diese sie vom Gegenteil überzeugt hatte  - und nun hatte es sich nur auf ein Neues bestätigt.
Sie hörte, wie Rachel ihren Namen rief, hörte ihre Schritte hinter sich.
„Chloe, ich habe dir nichts vorgemacht, ich liebe dich doch wirklich, es tut mir doch so, so leid, Chloe…“

Sie spürte Rachels Hand an ihrem Arm, doch sie stieß ihn weg.
„Lass mich in Ruhe! Du hast mich lange genug belogen.“
„Ich wollte es dir früher sagen, ehrlich…“, brachte Rachel hervor.
„Verpiss dich, Rachel! Ich dachte, ich bedeute dir etwas, mehr als ein dahergelaufener Drogentyp! Aber du bist offenbar genauso wie die anderen. Kein bisschen anders.“
Chloe erreichte ihren Wagen, öffnete die Tür und stieg ein.
„Chloe, warte!“

Rachel stand vor dem Fenster der Fahrertür, schwieg einen Moment und sah Chloe mit geröteten, unglücklichen Augen an.
„Du kannst nach Hause laufen. Oder frag’ doch Frank, ob er dich abholt!“, zischte Chloe, startete den Motor und ließ Rachel stehen.
Dies ist das erste Kapitel einer Fanfiction-Geschichte zum fünfteiligen Videospiel "Life Is Strange". Jeder Leser ist herzlich willkommen, es empfiehlt sich allerdings, zumindest die grobe Handlung von "Life Is Strange" zu kennen! :)

Die Geschichte setzt sechs Monate vor der Hauptgeschichte des Spiels ein und orientiert sich an einigen Ereignissen des Spielgeschehens. Allerdings folgt sie der weiteren Handlung des Spiels nicht, sondern macht "ihr eigenes Ding". :D

Hinweis: Die Notation "* * *" bedeutet, dass die Perspektive an dieser Stelle wechselt.

Ich hoffe, die Geschichte gefällt! :)

Nächstes Kapitel (Kapitel 2): fav.me/dafycbq
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