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Der Turm

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Am Ende der Straße steht der Leuchtturm. Ich sehe ihn vor mir aufragen, majestätisch und groß. Ich fühle mich davor stehen, erbarmungswürdig und klein. Der gebückt gehende Wurm auf der Straße zum Leuchtturm. Das bin ich. Innerlich bin ich gespalten. Ein großer Teil von mir wünscht sich nichts sehnlicher, als beim Turm zu sein und feuert meine Beine jede Sekunde an, noch ein wenig schneller zu laufen. Der kleine, besonnene Teil in mir schaut mit Sorge und wachsendem Missfallen dabei zu, wie jeder Schritt, der mich dem Leuchtturm näher bringt, zeitgleich meinen Körper und Geist angreift. Anfangs kaum merklich, befinde ich mich inzwischen in einer so gebeugten Haltung, dass ich meinen Kopf heben muss, wenn ich zum Leuchtturm aufschauen möchte, da ich sonst nur ein Stück des Weges vor mir sehe. Wenn ich mir durch die Haare fahre, dann bleiben Haarbüschel in meinen Händen hängen und meine Haut sieht trocken und lederartig aus. Meine Augen jedoch glänzen wie Diamanten in der untergehenden Sonne und kündigen den kommenden Wahn an, der sich meiner zu bemächtigen droht. Die warnende, leiser werdende Stimme in meinem Kopf, die mir rät umzukehren oder zumindest in Ruhe über die Lage nachzudenken, geht bald unter im Strudel des Rausches, der sich meiner bemächtigt, wenn ich an den Leuchtturm denke. Dass ich ihn bald erreicht haben werde, daran zweifle ich nicht. Die Straße führt steil bergauf. Meine Kräfte schwinden, doch wann immer ich drohe zusammenzubrechen, hebe ich den Kopf und schaue den Leuchtturm an. Er verleiht mir Kraft, sein Anblick stolz und erhaben über meine Leiden. Ich habe kein Recht, ihn nicht zu erreichen. In meinem Wahn spüre ich deutlich, dass der Leuchtturm auf mich wartet und noch weiter, dass der Leuchtturm mich genauso braucht, wie ich ihn. Wie kann ich ihm verwehren, zu ihm zu stoßen, wenn er doch danach verlangt? Mein Versagen wird nicht schuld sein, dass wir nicht zueinander finden können. Dann durchströmt mich die Erkenntnis. Ich liebe den Leuchtturm! Alle meine Zellen schreien die Sehnsucht nach ihm laut heraus, mein verzweifelter und größter Wunsch ist, bei ihm zu sein, ihn anzublicken und aufzugehen in seiner schlanken Eleganz, der würdevollen Anmut, mit der er allzeit am Ende der Straße, nahe den Klippen, durch sein beständiges Leuchten verirrten Booten bei Nacht und Nebel über das Meer hinweg den Weg weist. Ich sehe mich seine Treppen emporsteigen, zum Herzen hinauf, dort, von wo das Licht kommt. Ich werde von seiner Spitze aus in die Ferne schauen und alles wird gut sein.
Starker Regen hat eingesetzt. Mein Lumpen sind schnell durchnässt und kleben an meinem ausgezehrten Körper. Letzte Strähnen meiner fettigen Haare hängen schlaff an mir herab und wackeln bei jedem Schritt hin und her. Es wird allmählich dunkel und mit der Dunkelheit kommt Kälte, ein starker Wind zieht vom Meer her und lässt mich in meinen nassen Kleidern bitter frieren. Mich hält einzig das Gefühl der Liebe warm, das wie ein Feuer in mir brennt und meinen Beinen Kraft gibt, die letzten Schritte zum Leuchtturm zu bewältigen. Dort wird mich Geborgenheit erwarten, es wird Tee geben, in einem weichen Sessel werde ich mich zur Ruhe begeben und in Decken eingehüllt wird mich die Freude berauschen, an diesem Ort zu sein.
Mein Äußeres hat inzwischen grauenhafte Züge angenommen. Ein totengleiches, eingefallenes Gesicht, umrahmt von einzelnen langen, schwarzen Haarsträhnen sitzt auf einem skelettartigen, abgemagertem Körper, der in nassen, zerwetzten, schmutzigen Kleidern steckt, erbarmungswürdig zittert und bei jedem Schritt ein Knacken von sich gibt, als würden die Knochen aufeinander reiben und sich gegenseitig abschaben.
Die letzten Meter geht es Stufen hinauf, glitschig vom Regen, doch ein Geländer gibt es nicht. Mit größter Vorsicht wage ich einen Schritt, dann noch einen und nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich auch die letzte Hürde zur Erfüllung meines innigsten Traumes bewältigt, die Stufen liegen hinter mir, der Leuchtturm ragt vor mir auf. Ich kann meine Hand ausstrecken, ihn berühren und ein Schauer der Ekstase duchfährt mich, als meine Hand den kalten Stein spürt, aus dem der Turm besteht. Zweimal umrunde ich ihn, schüchtern bewundernd, was ich mir in meinen Träumen so oft ausgemalt habe. Dann nehme ich meinen Mut zusammen und gehe auf die Tür zu, die mich in das Innere führen wird. Zum Herzen, zum Licht, wo Wärme und Erholung mich erwarten. Noch einen Moment zögere ich, dann strecke ich voller Begierde meine Hand nach der Türklinke aus, drücke sie herunter und will die Tür öffnen. Der doppelte Sicherheitsriegel macht meinen Plan mit seiner bloßen Anwesenheit zunichte. Unfähig zu begreifen, wiederhole ich meinen Versuch wieder und wieder. Ich werfe mich gegen die Tür, trete dagegen, dabei höre ich ein unheilvolles Knacken in meinem Fußgelenk gefolgt von einem stechenden Schmerz. Doch das ist mir egal. Als alles nichts nützt fange ich an zu schreien. Ich gebe animalische Laute von mir und plötzlich erscheint mir der Leuchtturm nicht mehr einladend und voller herzlicher Wärme, sondern kalt, wie der Stein, aus dem er besteht und voller Verachtung auf mich herabblickend.
Ich habe mich als nicht würdig erwiesen und nichts anderes emfinde ich selbst in diesem Augenblick. Wie dumm ich war. Wie konnte ich nur einen Augenblick hoffen, der Leuchtturm würde meine Liebe erwidern? So oft hatte ich ihn nachts, wenn ich alleine durch die Umgebung irrte, tröstlich am Horizont leuchten sehen. Er war zu meinem engsten Freund geworden, hatte meine Schritte begleitet und mir Hoffnung geschenkt, wann immer mich Dunkelheit zu ersticken drohte. Das beständige Licht war für mich da gewesen.
Jetzt ist mir schlagartig eines klar geworden: Dieses Gefühl war Meines gewesen, entsprungen aus mir heraus und nur mich betreffend. Sicher, der Leuchtturm hatte es erzeugt, jedoch unwissentlich und ohne dadurch irgend einen Bund mit mir eingegangen zu sein. Der Leuchtturm wusste nichts von mir, es war ihm auch egal, auch jetzt noch, wo ich mich ihm offenbart hatte. Wie unvorsichtig er mit seiner Macht umgeht, Sehnsüchte erzeugt, wie die meine und dann alle Verantwortung von sich weist. Weiter noch, dass er mich mit Verachtung straft für meine Schwäche, ihm nicht widerstanden zu haben.
In mir bricht etwas auseinander. Das Gefühl, geliebt zu werden, gebraucht zu werden hat sich aufgelöst und lässt einen nackten, schutzlosen Körper zurück. Was mich am Leben gehalten und mir einen Sinn verliehen hat, ist verschwunden. Da ist nichts mehr. Ich schaue den Leuchtturm an. Er strahlt wie eh und je und zieht einsame Herzen magisch an, doch ein weiteres Gefühl mischt sich in diesen Anblick. Reiner Selbstzweck hält dieses Leuchten am Leben. Mögen die Motten das Licht suchen, dem Licht ist es egal. Im besten Fall verbrennen die Motten beim Versuch zum Licht zu kommen. Ich zumindest bin es. Innerlich ausgebrannt und tot bleibt mir nur noch eines zu tun.
Ein letztes Mal richte ich mich auf und torkel langsam den Klippen entgegen. Mein Körper schwankt, ein Windstoß wirft mich fast um, mit Anstrengung halte ich mich auf den Beinen. Dann erreiche ich die Steilküste. Vor mir erstreckt sich das Meer, in der dunklen Nacht nicht vom Himmel unterscheidbar. Himmel und Meer sind eins, doch das spielt keine Rolle mehr. Ich lass mich fallen und einen Moment spüre ich den Wahn von mir gleiten und ich sehe bewusst, dann zerschmettert mein Körper auf einem Felsen, der aus dem Meer ragt und wird eins mit dem Meer und den tosenden Wellen, die sich an der Küste brechen.
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