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Das Monster

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Das Monster ist in dir. Versteckt in den tiefen Kerkern deines (Unter-)Bewusstseins. Dir ist gelungen, es aus deiner Wahrnehmung zu verdrängen, doch das Monster wartet geduldig. Es wartet auf einen Moment der Schwäche. Wenn dein Wille angegriffen und du nicht mehr in der Lage bist, seine Anwesenheit ignorieren zu können, dann wittert es seine Stunde und wird sie nutzen.

Das Monster quält, statt zu zerstören. Zerstörung hieße erst gewaltsame Übernahme deines Wesens, dann Vernichtung ohne Erkenntnis. Daran liegt ihm nichts. Qual hingegen führt zur Beschäftigung mit der Ursache und ist daher viel besser geeignet. Das Monster nutzt den Schmerz, um auf sich aufmerksam zu machen. Es will dich zur Einsicht führen, deinen Fehler anzuerkennen. Du hast es weggesperrt und mit kalter Ignoranz bestraft. Du lässt ihm nicht den Freiraum, den es braucht. Mit viel Arbeit gelang dir zu zähmen, was nicht gezähmt werden sollte und in die Kerker deiner Tiefen zu verbannen, was doch auf den grünen Wiesen des wachen Bewusstseins tollen sollte. Auf dass es sich nicht in dein Leben einmischen kann schlossest du die schwere Kerkertür.

Du bist der Verstand, der rationale Gedanke, die Fähigkeit des Abwiegens und des Beurteilens. Der besonnenen Tat. Der Rücksicht. Du hast dich unter Kontrolle, solange das Monster im Kerker schweigt. Doch erlaube dir bloß keine Schwäche. Das Monster wird sie spüren. In all seiner Schrecklichkeit besitzt der qualvolle Schmerz, den das Monster erzeugt, doch eine Süße, von der du dich gefangen nehmen lassen wirst, wenn du nicht rechtzeitig wieder die Kontrolle über dich erlangst. Gelingt dir das nicht, wächst in dir der verzweifelte Wunsch, das Monster freizulassen und dich selbst aufzugeben.
Das Monster genießt die Qual. Mit seiner unendlichen Macht wäre es ihm ein Leichtes, deinen schwindenen Widerstand zu zerreißen, doch das ist nicht sein Ziel. Es wartet ab und beobachtet verzückt, wie du im Schmerz dahinschmilzt. Es will freigelassen werden. Es will sehen, wie du deine Niederlage eingestehst und anerkennst, welche Fehler du begangen hast. Wie dumm es war, das Monster zu verbannen. Es will dich damit zu Erkenntnis führen. Doch bist du bereit dazu?

Deine heile, sichere und schmerzfreie Welt sollst du aufgeben. Deine Welt, die alles Böse und Leidvolle ausschließt, in der du dich wohlig eingekuschelt hast. Wie das Monster diese Welt ins Wanken bringt! Plötzlich erscheint sie dir fahl, eindimensional und farblos. Ätzende Langeweile ergießt sich über die einstmals so sicher geglaubten kleinen Freuden des Lebens. Der Schmerz, den du empfindest, besitzt eine größere Dynamik und Intensität, als deine gesamte Gefühlswelt davor. Sie versinkt in Unbedeutenheit und gerät vergessen, die Sucht wächst in dir, gleichsam wie die Furcht davor.

Was gewinnt die Oberhand? Entscheide dich für die Furcht und das Monster wird sich freiwilig zurück ziehen. Es hasst Furcht. Du wirst in deine geordnete Welt der kleinen Freuden zurückkehren können, die Kontrolle über dich behalten, doch die Furcht ist dein ständiger Begleiter. Das Monster wird sich zum Sterben in die Kerker zurückziehen. Das ist der Preis.
Entscheide dich für die Sucht und der Weg wird dich ins Ungewisse führen. Unendlicher Schmerz und unendliche Freuden erwarten dich. Doch dafür musst du dich selbst aufgeben und dem Monster die Führung überlassen. Du wirst keine Kontrolle mehr über dich und deine Gefühle haben. Wie in einem reißenden Strom kann es dich durcheinander wirbeln und es gibt keine Rettung davor. Du bist freiwillig in den Strom gesprungen und vielleicht wirst du am nächsten Felsen zerschellen, vielleicht dem Rausch der Gefahr und des Kontrollverlustes erliegen, vielleicht die Intensität der Gefühle in ihrer vollen Entfaltung zu spüren bekommen.
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